Pater Josef Kentenich Portraits

Dankbarkeit ist die Grundhaltung des Christentums,
weil Gottes Liebe und Macht sich so wunderbar geoffenbart hat. 

J. Kentenich 

Die Kraft der Dankbarkeit

Deutschland, 20. April 1945, rund zwei Wochen vor Kriegsende, in einem kleinen Dorf auf der schwäbischen Alb. Die Alb wird von Bombengeschwadern überflogen und gerät immer wieder unter Beschuss. Ein KZ-Häftling, der nach drei Jahren Haft gerade erst aus dem Lager Dachau entlassen wurde, spricht in einem Gottesdienst zu den Dorfleuten. Es ist Pater Kentenich, der Gründer Schönstatts. Er beginnt seine Ansprache mit den Worten:

„Was unsere Herzen bewegt? Dankbarkeit! Eucharistia - Danksagung! Dankbarkeit ist die Grundhaltung des Christentums, weil Gottes Liebe und Macht sich so wunderbar geoffenbart hat“ (20.4.1945).

 Er, der aus der „Todesstadt“ des KZ kommt, erzählt den vom Krieg gebeutelten Menschen von dem Schutz und den Erbarmungen Gottes, die er und seine Mitbrüder inmitten der Schrecken des Lagers erlebt haben. Er ermutigt sie, fest auf die Güte Gottes zu vertrauen. Am Tag darauf sterben bei einem Bombenangriff im Nachbardorf Menschen, das Dorf brennt. Es ist ein Bild der Zerstörung. Pater Kentenich lässt sich nicht beirren, den Älblern die Vaterliebe Gottes zu erschließen. Er zeigt ihnen, dass gerade jetzt die Dankbarkeit für erlebte Wunder das Geheimnis sein wird, die schwere Zeit durchzustehen und neu anzufangen.

20 Jahre später, im November 1965, ist Pater Kentenich nach 14 Jahren aus den USA nach Rom zurückgekehrt. Wieder liegen schwere Jahre hinter ihm, die Trennung von seinem Werk war ihm von der Kirche auferlegt. Nun hat alles mit der Anerkennung des Gründers durch die obersten Vertreter der Kirche ein glückliches Ende genommen. Kardinal Antoniutti empfängt Pater Kentenich in Audienz und sagt ihm: ‚Vergessen wir die Vergangenheit!‘ Pater Kentenich entgegnet: ‚Kreuz und Leid, Ungerechtigkeiten und dergleichen wollen wir vergessen. Aber die Großtaten Gottes und der Gottesmutter, die in diesen Ereignissen aufleuchten, die können und dürfen wir nicht vergessen.‘ Diese spontane Reaktion beeindruckt den Kardinal tief.

 

Dankbarkeit ist das Gedächtnis des Herzens

Pater Kentenich hat in den Jahren der Prüfung so unmittelbar die liebevolle Sorge Gottes und der Gottesmutter erfahren, dass er tief ergriffen ist vom wunderbaren Wirken Gottes. Als er am Heiligen Abend 1965 nach Schönstatt zurückkehren kann, sagt er bei seinen ersten Worten an seine geistliche Familie:

„Es ist halt doch so…, wir leben in einer Welt, soll ich sagen: des Wundersamen, des Wunderbaren? Oder muss ich konkreter sagen: in einer Welt der Wunder? Und wir selber sind Träger dieser Wunder.“ (24.12.1965)

Das Volk Israel behielt die Groß- und Wundertaten Gottes von Generation zu Generation im Gedächtnis. Es feierte seine Erinnerungs- und Dankfeste. Das half ihm, auch in schweren Zeiten an die Huld und Treue Gottes zu glauben. „Er hat ein Gedächtnis an seine Wunder gestiftet, der Herr ist gnädig und barmherzig“, heißt es in Psalm 111,4. Dieses immer neue Erinnern der Wunder Gottes in ihrer Mitte gab den Israeliten Zuversicht.

Dankbarkeit ist das Gedächtnis des Herzens. Dankbarkeit lässt die Gnadenerfahrungen unseres Lebens in unserem Herzen weiterwirken.

Ob die Gnade Gottes - und Gnade ist die liebevolle Zuwendung Gottes - in einem Herzen angekommen ist, zeigt sich an der Wirkung: Die Wirkung persönlich angenommener Gnade ist das Aufbrechen von Dankbarkeit. Die lateinische Sprache bringt diesen inneren Zusam­menhang zum Ausdruck: „Dank“ und „Gnade“ sind hier dasselbe Wort: Gratia.

 

Dankbarkeit als Grundhaltung des Christentums

"Dankbarkeit ist die Grundhaltung des Christentums“, sagt Pater Kentenich, „weil Gottes Liebe und Macht sich so wunderbar geoffenbart hat“ (20.4.1945).

Eine Grundhaltung ist mehr als ein Augenblicksgefühl. Es ist eine Einstellung, die alles prägt, die Art, wie wir auf das Leben mit seinen Höhen und Tiefen reagieren.

Wie kann diese Grundhaltung wachsen?

Nochmals ein Blick auf Pater Kentenich als Häftling im KZ Dachau. In diesen unmenschlichen Verhältnissen, in denen viele an der Liebe Gottes zweifeln, verfasst er für sich und für seine Gefährten ein „Glaubensbekenntnis“*. Er formuliert die Wahrheiten des Credo mit eigenen Worten, immer sofort in Anwendung auf uns, auf das Geschenk, das die einzelne Glaubens­wahrheit für uns als Christen bedeutet. Er führt damit sich und den anderen Gefan­genen vor Augen, was uns durch unser Christsein an Großem und Schönem, an Sinngebung und Erfüllung angeboten ist – auch in der menschenverachtenden Welt des KZ. Im Durchme­ditieren der einzelnen Gaben kann die Grundhaltung wachsen: als Christin, als Christ bin ich mit wunderbaren Gaben beschenkt, die mir niemand rauben kann. Sie sind mir gegeben aus einer anderen Welt und daher unzerstörbar.

 

Das Jahr der Barmherzigkeit als Neuanfang

Es ist eine gute Einstiegsübung in das Heilige Jahr der Barmherzigkeit, einmal die Geschenke unseres christlichen Weges so zu betrachten und auf uns wirken zu lassen, als wären wir Neubekehrte, die alle diese wunderbaren Wahrheiten zum ersten Mal entdecken.

Wer mehr zu den einzelnen Wahrheiten lesen will, findet es im „Katechismus der Katho­lischen Kirche“. Welche Wahrheiten sprechen mich besonders an? Welche Gebete der Kirche? Welche Elemente der Liturgie?

Auf diese Weise dankbar zu werden für die Geschenke unseres Christseins, das schafft Raum, um die ganz persönlichen Wohltaten und Liebeserweise Gottes in eigenen Leben wahrzunehmen.

Anregung dazu wird der Januarimpuls auf dieser Seite geben.

Doch zunächst gehen wir den ersten Schritt hinein in das Heilige Jahr der Barmherzigkeit durch die Übung der Dankbarkeit. Vielleicht wird dieser Advent mehr als andere zu einer Zeit des dankbaren Staunens über unsere Berufung zum christlichen Weg; eine Zeit der Dankbarkeit, dass unser Gott Wunder tut, auch heute. Das größte Wunder feiern wir an Weihnachten: Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, die Mensch gewordene Liebe und Barmherzigkeit des Vaters.

Wenn wir diesen ersten Monat im Heiligen Jahr der Barmherzigkeit mit dieser Aufmerksamkeit für die Geschenke Gottes beginnen, dann kann dieses Jahr zu einem wirklichen Gnadenjahr, einem Neuanfang unseres Christseins werden. Machen wir uns miteinander auf den Weg!


 

(* Es handelt sich um das „Credo“ der „Werkzeugsmesse“, die Pater Kentenich im KZ neben anderen Gebeten verfasst hat. Sie sind ediert in dem Gebetbuch „Himmelwärts“, erschienen im Schönstatt-Verlag, Vallendar-Schönstatt.)